in memoriam Franz Schillinger

Franz Schillinger: Komposition für Truhenorgel und Orgel, uraufgeführt am 18.08.2004 in der Dreieinigkeitskirche in Nürnberg.

"Alles, was ich über Neutöner weiß, weiß ich vom Franz", resümierte sein Bruder anläßlich Franz´ Begräbnis im Oktober 2005. Und weiter, das sei des Bruders Thema gewesen, über das er sich gerne ausgelassen hat, manches Mal über die Grenze des Verstehens oder auch Verstehen-Wollens hinaus.

Wohl gesprochen! FS war ein stets sprudelnder Quell von Musiker-Anekdoten, aber auch harten Fakten zum Thema. Einige Zeit nach der Uraufführung schwärmte er immer noch über das mit dieser Komposition erreichte ("wir haben die Orgel verrauscht"), sah mich an und sagte: "du verstehst doch gar nicht, was das [für die Musik] bedeutet." Gut möglich.

Das kam so:

Am 15. Mai 2004, dem Abend des Eurovision Song Contest, legte mir Franz in der Küche einen Stapel Unterlagen vor, die ich 1999 für ihn gefertigt hatte. Er wies auf die Aufführung im August hin und bat um schnellstmögliche Berechnung einer Reihe von Zahlen, die wir manchmal spaßhalber "SchiWoKo" (Schillinger-Wolff-Koeffizient) nannten. Ich versprach´s, und wir genehmigten uns seinen Lieblings-Welschriesling, während wir im Wohnzimmer über den ESC ablästerten.

Beim SchiWoKo handelt es sich tatsächlich um die mittlere Elongation zweier, addierter Schwingungen, die Franz für diverse Intervalle errechnet haben wollte.

Ich zitiere aus http://de.wikipedia.org/wiki/Schwingung: "Die Elongation y(t) zu einem Zeitpunkt t gibt den momentanen, die Amplitude den maximal möglichen Wert der Größe y an." Dort findet sich eine hilfreiche Grafik zum Verständnis.

Franz erhielt einige Tage später wiederum einen Stapel Unterlagen mit den gewünschten Zahlen, die ich per Formel mit der Tabellenkalkulation und in einem näherungsweisen Verfahren mit Pascal ermittelt hatte. Diese zog er als physikalische Grundlage während seiner Kompositionsarbeit heran.

Den Hintergrund zu Franz´ Ziel, dem "Verrauschen der Orgeln(n)" können Sie in Wikipedia nachlesen unter Weißes Rauschen bzw. 1/f-Rauschen.

Franz Schillinger, 30.10.04 An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, ein paar persönliche Gedanken über den Franz zu erwähnen: er konnte manchmal, wenn es um Musik ging, etwas abgehoben oder elitär erscheinen. Dieser Eindruck mag durch die eben geschilderte Herangehensweise an eine Komposition noch verstärkt werden. Über Franz´ kreative Prozesse kann ich mich naturgemäß nicht äußern, sie hatten aber sicher nichts mit drögem "Zahlenschaufeln" zu tun.
Franz war studierter Musiker und hätte sich selbst verleugnen müssen, um dieses Wissen nicht hin und wieder gesprächsweise durchblicken zu lassen. Er hatte aber nicht nur Wissen, sondern war ein exzellenter Gitarrist mit Spielfreude und Freude daran, seine Kenntnisse weiter zu geben. Sei es nun an seine Gitarrenschüler oder andere Musiker, denen er immer wieder Tips zur Spieltechnik gab. In unserer Stammkneipe notierte der Franz für den Wirt die Gitarrenakkorde des gerade laufenden Stückes, das letzterer selbst klampfen wollte. Er war eben Musiker durch und durch, und eben auch an experimentellen, neutönenden und zugegebenermaßen nicht ohne Weiteres zugänglichen geistigen Höhenflügen interessiert.

Es wäre ein Dichter vonnöten, um dem Leser einen Eindruck des Klangerlebnisses vorstellbar zu machen. In Kenntnis von nur einem kleinen Ausschnitt von Franzens Schaffen schwinge ich mich zu der Einschätzung auf, daß es ihm, der auch elektronische Musik studiert hatte, darum ging, bislang völlig ungehörte Klangwelten unter Verwendung herkömmlicher und teilweise trickreich klanglich verfremdeter Instrumente (etwa durch Anbringen kleiner Gewichte an Gitarrensaiten bei "Traces") zu erzeugen.

Im Wikipedia-Artikel über Weißes Rauschen findet sich der Satz: "Weißes Rauschen ist dem Klang von herkömmlicher Musik sehr unähnlich." Das konnten die Gäste der Uraufführung hörend erleben, während das "Orgelspiel" (die Tasten wurden im Lauf der Komposition sukzessive mit Gewichten beschwert) via Beamer projiziert wurde.

Franz´ ehemalige Homepage befindet sich glücklicherweise im Webarchiv.